Genussgewinn und Vielfaltsverzicht - Erfahrungsberichte von der Regio Challenge

Die Regio Challenge ist ein von der Nyéléni-Bewegung (weltweite Bewegung für Ernährungssouveränität) und dem Netzwerk Solidarische Landwirtschaft initiierter Aufruf. Sie luden dazu ein, vom 09.09.-15.09.2019, also eine Woche lang, nur die Nahrungsmittel einzukaufen, die vollständig in der Entfernung einer Fahrradtour hergestellt worden sind. Wenn gewünscht, durften zwei Joker gewählt werden. Die Solawi Marburg beteiligte sich mit einer kleinen Gruppe. Dass die Challenge nicht für jede*n dieselbe Herausforderung darstellen würde, zeichnete sich schon beim Kennenlern-Abend zwei Wochen vor Beginn ab. Abhängig von individuellen Ernährungsgewohnheiten fehlten der einen die Hafermilch und die Vielfalt beim Frühstücksmüsli, beim anderen die richtige Würze. Eine musste die Jokeranzahl erhöhen, einer hat ganz darauf verzichtet. Am besten, die Teilnehmer*innen kommen selbst zu Wort. Hier ihre Erfahrungen:

Peter:

"Ich sitze gerade vor meinen Linsen mit Zucchini und Frühlingszwiebeln und denke dasselbe, was ich in den letzten Tagen häufiger gedacht habe: schmeckt lecker, aber ein bisschen fad.

Ich habe durch die Regio Challenge auch gemerkt, was es alles Leckeres aus der Region gibt (die Linsen sind auch für mich ein Highlight), aber dass es ab und zu an der richtigen Würze (Pfeffer, Salz,...) fehlt. Andererseits lerne ich dadurch auch besser auf den Beitrag der einzelnen Zutaten zum Geschmack zu achten. Vorgestern hatte ich Linsen mit Ufokürbis und der Kürbis hatte einen süßen Eigengeschmack, sodass ich da keine Gewürze vermisst habe.

Ich stimme den anderen absolut zu, dass man sich nicht verbissen auf regionale Zutaten festlegen sollte und jede(r) die Kompromisse eingehen sollte, die sie/er möchte. Bei mir klappt es bisher ohne Probleme, sodass ich ganz ohne Joker auskomme. Dabei sehe ich die Woche für mich auch als Lernprozess (z. B. Kochen mit Geschmack auch ohne viele exotische Gewürze), der mir langfristig was bringt. Auf Pfeffer, Salz & Co. werde ich in Zukunft nicht verzichten, sie aber bewusster einsetzen, damit sie nicht andere Geschmäcker übertünchen. Und meine (nicht vorhandene) Speisekammer werde ich definitiv mit mehr regionalen Produkten bestücken: Linsen und Mehl aus Damm, Milch(-produkte) aus Friedelhausen,... Und meine Dankbarkeit, dass der SoLaWi-Anteil so toll ist, ist auch nochmal gestiegen."

Carlotta & Kind:

"Bei uns war anfangs ganz klar, daß es zwei Joker braucht, da haben wir Salz und Hafer gewählt. Zwar haben wir sogar aus unserem Dorf Hafer kaufen können, der biologisch angebaut wurde. Doch ohne die Entspelzung fand ich das nicht so kochbar, wenn auch zur Darmreinigung vielleicht brauchbar. (Es essen ja auch Leute Flohsamenschalen oder Weizenkleie zur Verdauungsregulierung.) Eine Getreidemühle ist jedenfalls echt nützlich...

Da wir es weitgehend glutenfrei brauchen sowie kuhmilchfrei, war es wunderbar, daß es soviel Gemüse gab von der Solawi und auch aus unserem Garten. Nur Pflanzenmilch und Margerine sowie erhitzbares Fett habe ich vermisst.

Ich bin ganz dankbar den Bioladen in Lohra Damm wiederentdeckt zu haben, der ist ja so groß und gemütlich  geworden! Und echt lecker ausgestattet!
Auch daß es dort Öl gibt, war sehr beruhigend und  lecker, wenn auch  ich über Anbau von Sonnenblumen und Anschaffung einer Ölpresse nachdenke.

Im Laufe der Woche ist mein Kind aus der Regio Challenge etwas ausgestiegen, da es zu kompliziert war auch noch das Mittagessen mit in die Schule zu schleppen bei seinem langen Weg.
Es war auch schwierig mal den Schulbrotbelag zu wechseln, jeden Tag nur Honig oder Käse war nicht so sein Liebstes. Wenigstens hatte es geklappt sehr leckeres Brot aus reinem Hafer zu backen mit selbst geernteten Leinsamen und selbst geernteter  Ölkürbissaat, das war ein leckeres Highlight. Ansonsten Cracker aus den Resten vom Smoothie mit Hafer; auch sehr lecker.

Ansonsten hab ich viel regionale Smoothies getrunken und Geburtstags-Ausnahmen gemacht. Einmal  war ich müde und ertappte mich dabei das für mein Kind gekochte Essen zu probieren oder mitzuessen.

Krass fand ich das Gefühl in meiner Speisekammer zu stehen und mal bewusst zu merken, was alles von weit oder noch weiter her ist. Selbstversorgung ohne all diese leckeren Genüsse?

Etwas frustig  fand ich unsere manchmal doch sehr weiten Wege, auch Fragen in die Runde zu stellen ohne daran anknüpfende Kommunikation.

Auf jeden Fall gehe ich inspiriert ins Finale der Regio Challenge und würde es wieder tun.

Und eine regionale Haferentspelzungsquelle oder eine Quelle für entspelzten Hafer wäre wunderbar, finden wir auch!"

Maike:

"Ich habe die Sache mit den Jokern auch etwas ausgedehnt. Ich war fast die ganze Woche krank und lag mit Grippe und Erkältung im Bett. Da fing es an mit Hustenbonbons und hat aufgehört mit Zitrone und Ingwer für Tee.

Beim Kochen bin ich sehr gut mit Salz und Pfeffer (meine eigentlichen Joker) und Kräutern aus dem Garten ausgekommen. Auch mit Gemüse war ich bestens versorgt. Und, dank Peter, auch mit Mehl, Linsen, Öl und Honig. Danke nochmal fürs Mitbringen!

Fahrradfahren ist für mich in der letzten Woche dann auch flachgefallen, sodass ich nicht auf Höfen und in der Gegend unterwegs war. Aber ich war auf dem Wochenmarkt und habe dort Brot, Käse und Quark bekommen. Alles bei Duske. Das war ganz wunderbar und meine Rettung letzte Woche. Frische Milch konnte ich hier nicht bekommen und auch keine Butter, die habe ich, wie du, Vera, auch vermisst. Und Kafffee auch. Und Schokolade, sodass ich auch dabei auch nicht ganz so strikt war..

Ich fand es auf jeden Fall auch eine spannende Woche, da stimme ich euch allen zu! Gerne wieder :D Die Hofbesuche finde ich eine ganz wunderbare Idee, Cécile!"

Cécile:

"Halbzeit"-Bericht:

Ich bin die totale Frühstückerin.....meistens Müsli....das geht gut...nur fehlt mir der Hafer. Da ich mir eh immer mein Müsli selber zusammenstelle und in meiner Kornquetsche frisch flocke, geht das eigentlich ganz gut. Aber nur Weizen, Dinkel und getrocknete Kirschen von diesem Sommer sind mir etwas zu wenig.....die Gewohnheit macht's mir schwer. Haselnüsse (nicht selbst gesammelt) und Sonnenblumenkerne mach ich dann doch noch dazu :o/

Wie gesagt, regionale Hafermilch selberzumachen ist schwer, drum bin ich für diese Woche mal auf die Friedelhausener Milch gewechselt.....Milch mag ich aber einfach nicht so gern....dafür aber deren Joghurt.

Gestern habe ich Powidel (oder Zwetschgenhonig) gemacht, dazu gestehe ich, dass ich wenig Zucker, Apfelesseig (leider auch kein selbtgemachter mehr da gewesen) und Zimt hinzugefügt habe....

Die "Kleinigkeiten" machen's aus.

Die Minze, die Wilfried mitgebracht hatte, habe ich getrocknet...jetzt gibt's Minztee...und zur Abwechslung einen Kräutertee aus Friedelhausen.

Gestern habe ich Sauerteig-Roggenbrot gebacken, mit Mehl aus Lohra-Damm.

Zusätzlich habe ich mir Anfang der Woche ein Stillkissen genäht, aus (naja fast) regionalem Dinkelspelz (aus der Nähe von Wetzlar) und nem alten Bettlaken. Letzte Woche habe ich von unserem Solawi-Imker Matze Bienenwachs geholt....da werde ich bald mal Bienenwachstücher herstellen.

Erstes Fazit: eine regionale Haferquelle wäre phänomenal phantastisch!

Und: mir wird beim Zubereiten und Essen bewusster, was alles nicht aus der Region kommt (oder kommen kann)."

Fazit am Ende:

"Geschafft! ich muss zugeben...wenn ich von euch so höre, dann muss ich euch Beifall klatschen....ich war längst nicht so strikt wie ihr!

Trotzdem fand ich es eine tolle Challenge, ich habe viel gute neue Infos bekommen, dafür danke ich euch herzlichst!

Ich hatte auch schon die Idee, das ganze nächstes (oder übernächstes) Jahr noch größer aufzuziehen. Mit einem Förderantrag vielleicht....längerer Vorlaufzeit und vorher schon Besichtigungen von Höfen (über den Sommer), einer Tausch-/Verschenkeparty am Wochenende davor. Regionalen Rezepten und weiteren Regionalen Ideen (Dinkelspelzkissen, Bienenwachstücher und so), Öffentlichkeitsarbeit. So dass noch mehr Menschen (auch Nicht-Solawi-Mitglieder) Lust haben mitzumachen."

Vera:

"Mir geht es ähnlich wie Cécile. Gemüse, Mehl, die meisten Milchprodukte, Brot, das ist alles kein großes Problem, aber bei den Kleinigkeiten hakt es oft - Essig für die Salatsoße, Zimt für den Zwetschgenkuchen, solche Sachen (gut, könnte man auch weglassen). Aber auch einige Grundnahrungsmittel habe ich nicht gefunden: Vor allem fehlt mir Butter, Sonnenblumenöl oder ein anderes erhitzbares Fett - das Hanföl aus Lohra-Damm ist dafür zu schade. Vielleicht weiß ja jemand was...?

Andererseits denke ich, dass es bei dieser Challenge nicht auf Vollständigkeit oder Perfektion ankommt, sondern auf die Erfahrung und das verbesserte Bewusstsein, wie Cécile auch schreibt. Einige Lebensmittel, bei denen ich vorher nicht drauf geachtet hab, werden in meiner Speisekammer nun durch regionale Pendants ersetzt. Beispielsweise schmecken die Linsen vom Caspersch Hof fantastisch!"