Kein Land in Sicht? Landwirtschaftliches Fachgespräch für eine faire Bodenpolitik in Hessen

Das Podium beim Landwirtschaftlichen Fachgespräch.

Die Fraktion der Grünen im Hessischen Landtag hatte am 28.11.2024 nach Wiesbaden gela­den, um mit Vertreter*innen aus der Forschung, der Politik und der Praxis über Bodenpolitik zu diskutieren. Nach der Begrüßung durch die Mitglieder des Landtags Martina Feldmayer und Hans-Jürgen Müller hielten 5 Expert*innen Impulsreferate.

Andreas Tietz, Projektleiter am Thünen-Institut für Ländliche Räume, betonte in seinem Vor­trag über aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen auf dem landwirtschaftlichen Bo­denmarkt, dass in Hessen im deutschlandweiten Vergleich ungewöhnlich viel Land den Kom­munen gehöre, hier also viel Potenzial liege. Auf Gesamtdeutschland bezogen liege der Anteil der Agrarflächen in öffentlichem Eigentum bei rund 10% der landwirtschaftlich genutzen Flä­chen; in Hessen liege die Zahl über dem Bundesdurchschnitt. Dass Land frei werde, sei selten. Pro Jahr wechselten in Hessen 0,3% der landwirtschaftlichen Nutzflächen den Eigentümer, das entspreche rechnerisch dem Verkauf einer Agrarfläche in 200 Jahren. Auf die oft beschriebene Problematik der außerlandwirtschaftlichen Investoren angesprochen, antwortete Herr Tietz, dass es rein statistisch betrachtet aktuell in Hessen (noch) keine besorgniserregende Eigentumskonzentration gebe. Es gebe eine breite Eigen­tumsstreuung, die meisten Privateigentümer seien nicht aus landwirtschaftlichen Haushalten. Da das Landpachtverkehrsgesetz in der Praxis nur ungenügend umgesetzt werde, gebe es auch nur wenige Daten für wissenschaftliche Auswertungen.

Der Agrarausschusssprecher der Hessischen Landjugend, Marvin Scheld, bezog sich vor allem auf die Gesetzeslage, die sich ändern müsse. Er fordert die Politik auf, gezielt Existenzgrün­dungen zu fördern und das Grundstücksverkehrsgesetz umfangreich anzupassen, bzw. in Hes­sen ein Agrarstrukturgesetz einzuführen.

Mathias Dralle informierte über die Rolle der Hessischen Landgesellschaft (HLG) im Rahmen der Regulierung des Bodenmarktes. Er wies ebenfalls auf die Schwächen des nur vier Seiten umfassenden Grundstücksverkehrsgesetzes hin. Der Praxiskommentar von Joachim Netz um­fasse hingegen 1700 Seiten. In den Jahren 2020 bis 2023 kam es zu 13.000 Verfahren nach dem Grundstücksverkehrsgesetz, aber es wurden nur 70 Versagungen ausgesprochen. Herr Dralle erwähnte auch die Problematik der Ortslandwirt*innen als Ansprechpartner*in­nen in Grundstücksangelegenheiten, denn die Aufgabe, Informationen an alle örtlichen land­wirtschaftlichen Betriebe weiterzugeben, würde hier in der Praxis offensichtlich nicht umge­setzt werden.

Jobst Jungehülsing, der ehemalige Referatsleiter "Bodenmarkt" im Bundesministerium für Er­nährung und Landwirtschaft, machte Vorschläge für Maßnahmen, die einen gerechten Boden­markt und eine vielfältige Agrarstruktur in Hessen fördern können. Er bezog sich auf die Para­graphen 42 und 43 der Hessischen Verfassung, in denen eine breite Streuung des Eigentums mit dem Ziel der Bremsung und auch Rückbildung der Konzentration wirtschaftlicher Macht beschrieben wird. Er nannte u.a. die Einschränkung der Genehmigung von Freiflächen-Photovoltaik, ein Ge­schäftsfeld, in dem aktuell eine Goldgräberstimmung herrsche, und das einen der größten Konkurrenten um Land darstelle. Die Probleme des privilegiereten Baus von PV-Anlagen im Außenbereich könnten aber nicht auf kommunaler Ebene geregelt werden, dies sei Sache des Bundes. Freiflächen-PV sei übrigens nicht zu verwechseln mit Agri-PV, also der Kombination von Photovoltaik und landwirtschaftlicher Produktion auf derselben Fläche. In Deutschland werde auf weniger als 1000 ha Agri-PV betrieben, aber auf etwa 100.000 ha gebe es Freiflä­chen-Photovoltaik-Anlagen. Der Bedarf nach Strom aus Photovoltaik solle, so Jungehülsing, besser über die Nutzung von Dächern und Infrastrukturanlagen gedeckt werden. Als hilfreiches Instrument beschrieb er auch das Anlegen eines Kumulationskatasters, damit nachvollziehbar werde, wie viel Landwirtschaftsfläche verlorengegangen sei.

Claudia Smolka, Vorstandsvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), erläuterte als konkretes Instrument zur Steuerung der Landvergabe die Anwendung von Gemeinwohlkriterien bei der Verpachtung öffentlicher Flächen. Diese Kriterien, darunter die Betriebsgröße, die Art der Bewirtschaftung und der Tierhaltung sowie soziale und gesell­schaftliche Aspekte, seien kein vorgegebenes Raster, sondern müssten individuell an die reale Situation in der jeweiligen Kommune angepasst werden. Da sich 10% der gesamten Agrarflä­chen im Eigentum der öffentlichen Hand befinden – das sind auf Deutschland bezogen 1,6 Mio ha – ergebe sich hier ein nicht zu vernachlässigender Gestaltungsraum, der auch eine Vorbild­funktion einnehmen könne.

Nach der Pause schloss sich eine Diskussionsrunde an, bei der sich aus dem Publikum auch viele Vertreter*innen aus Politik und Verwaltung zu Wort meldeten. Kontrovers diskutiert wurde etwa die Frage, ob der Aufkauf von Land zu Spekulationszwecken durch Investoren in Hessen ein Problem sei. Die Forschung sehe dieses Problem aktuell zwar noch nicht, so An­dreas Tietz, in der Praxis zeige sich, dass es dieses Phänomen aber durchaus auch in unserem Bundesland bereits gebe. Vorsicht sei geboten, damit sich diese Tendenz nicht verstärke. Dies betonte Claudia Smolka, die außerdem darauf hinwies, dass es für bäuerliche Betriebe zuneh­mend schwer werde, die landwirtschaftliche Fläche zu halten, bzw. dass es für Existenzgrün­der*innen nahezu unmöglich sei, Zugang zu der Ressource Boden zu bekommen.

Zu diesem weiteren großen Diskussionsthema „Zugang zu Land für Junglandwirt*innen und Existenzgründer*innen“ ergänzte Jobst Jungehülsing, dass die existierenden Förderprogram­me nicht auf Existenzgründer*innen zugeschnitten seien, die keinen Betrieb erbten. Für diese sei die Fördersumme viel zu gering, außerdem fehlten diesen jungen Menschen häufig die Netzwerke in der Region; auch hier sei Unterstützung nötig. Oliver Diehl, Geschäftsführer der AbL Hessen, meldete sich aus dem Publikum, um auf das gut funktionierende System zur Un­terstützung von außerfamiliären Hofübergaben in Frankreich aufmerksam zu machen. Die In­strumente, die hier eingesetzt würden, stünden in Deutschland leider zu schnell unter dem Verdacht eines unlauteren Eingriffs in die Privatwirtschaft. Marvin Scheld verwies auf den Fachkräftemangel, der auch in landwirtschaftlichen Betrieben stark zugenommen habe. Gut ausgebildete junge Menschen hätten vielfältige Chancen, in größeren Betrieben die Leitung von eigenen Bereichen zu übernehmen. Lena Jacobi, Assistentin im Regionalbüro von Hans-Jür­gen Müller (MdL), entgegnete, dass dies zwar stimme, allein auf diese Weise aber die vielfälti­ge, auch kleinstrukturierte Agrarlandschaft nicht erhalten werden könne.

Auch die Verpachtung nach gemeinwohlorientierten Kriterien war ein kontrovers diskutier­tes Thema. Während Mathias Dralle diese aufgrund der kurzfristigen Pachtverträge der HLG-Bevorratungsflächen für nicht umsetzbar einschätzt, betonte Jobst Jungehülsing, dass die Bo­denverwertungs- und -verwaltungs GmbH (BVVG) damit aktuell gute Erfahrungen mache.

Fest steht, dass das Thema Bodenpolitik in Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft einen ho­hen Stellenwert einnehmen sollte, da Boden eine Ressource ist, die sich nicht vermehrt, und die für unsere heimische Lebensmittelproduktion, aber auch für das Zusammenleben im länd­lichen Raum eine entscheidende Rolle spielt.